Warum sollte sich eine Stadt mit ihrer Lebensmittelversorgung auseinander setzen? Wo liegen die Notwendigkeiten für kommunale Ernährungspolitik und Stadternährungsplanung? Auf Speiseräume und im eBook Gartenspaten werden dafür drei Gründe genannt:

  • New Urban Food Needs: Stadt und Bürger entwickeln Ansprüche, die über eine ausreichende Versorgung mit Lebensmitteln hinausgehen. Das Ernährungssystem muss auch Ansprüchen im Bereich Vertrauen, Umwelt, Gesundheit und Fairness genügen.
  • Lokale Handlungsnotwendigkeiten: Viele der (globalen) Probleme des Ernährungssystem manifestieren sich lokal. Umweltverschmutzungen, gesundheitliche Auswirkungen und soziale Folgen der Lebensmittelversorgung führen zu konkreten Problemen in Städten.
  • Chancen für die Stadtentwicklung: Ernährung hat das Potenzial regionale Wertschöpfung zu steigern, Arbeitsplätze in der Stadt und in der Region zu schaffen, das städtische Umland zu schützen, Verkehrsbelastung und Treibhausgasemissionen zu minimieren und das soziale Leben zu fördern.

Die Chancen der kommunalen Ernährungspolitik

Doch es gibt noch einen weiteren Grund für kommunale Ernährungspolitik: Die Stadt bietet Chancen zur Weiterentwicklung des Ernährungssystems. Wenn wir von urbaner Landwirtschaft, von regionalen Ernährungssystemen und vielen anderen Bausteinen eines gesunden, nachhaltigen Ernährungssystem reden, dann sind dies zunächst Nischen sowohl im Ernährungssystem als auch in der Stadt: Nischen, die nicht für eine umfassende Versorgung der Stadt geeignet sind. Warum soll die Stadt Kraft in solche Nischen investieren? Sie sind nicht die Lösung, aber sie weisen den Weg dorthin. Diese Nischen sind die Labore für zukünftige Entwicklungen.

Staphylococcus aureus
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Die zivilgesellschaftliche Projekte und Netzwerke in den Städten werden zum wichtigen Treiber von innovativen Entwicklungen im Ernährungssystem. Die Bürger betreiben ihre Ernährungspolitik durch soziales Lernen und durch das Aneignen neuer Kompetenzen. Die Projekte schaffen und nutzen städtische Räume für Experimente. In diesen Nischen werden Lebensmittelproduktion, -handel und -konsum neu organisiert; neue Lösungswege für Probleme des Ernährungssystems werden getestet. Die Bürger tasten sich Schritt für Schritt und experimentell an neue Versorgungsstrukturen für die Stadt heran. Sie suchen nach Wegen, die New Urban Food Needs zu befriedigen.

Während vom Verbraucher erwartet wird, dass er sich am Supermarktregal zwischen Produkt A und B entscheidet, experimentiert er als Bürger mit Alternativen zum Supermarktregal. In diesen Experimenten liegt meiner Meinung nach die Stärke des urbanen Ernährungssystems. Die Stadt ist nicht der beste Ort für die Lebensmittelproduktion – aber er ist der ideale Ort zur Entwicklung neuer Versorgungsstrukturen. Stadt und Bürger muss die Bedingungen ihrer Lebensmittelversorgung mitbestimmen – und kann helfen innovative Lösungen für das Ernährungssystem zu entwickeln.

Speiseräume (2012): Stadtentwicklung mit dem Gartenspaten. Umrisse einer Stadternährungsplanung.
Lamine, Claire (u.a., 2012): Agri-Food systems and territorial development: innovations, new dynamics and changing governance mechanisms. In: Ika Darnhofer, David Gibbon und Benoît Dedieu (Hg.): Farming Systems Research into the 21st Century: The New Dynamic. Dordrecht, S. 229–256.
Renting, Henk  (u.a., 2012): Building Food Democracy. Exploring Civic Food Networks and Newly Emerging Forms of Food Citizenship. In: International Journal of Sociology of Agriculture and Food 19 (3), S. 289–307.