„Das ist Fair Trade vor Ort“, fasst Landwirtin Susanna Lindeke das Konzept des münsterländischen Gärtnerhofes Entrup zusammen. Dahinter steckt eine bestechend einfache, aber völlig andere Idee der Zusammenarbeit mit dem Verbraucher: Die Konsumenten kaufen nicht mehr einzelne Lebensmittel, sondern finanzieren mit monatlichen Beiträgen gemeinsam den Hof. Im Gegenzug versorgt dieser die Mitglieder mit allen Produkten, die im Jahresverlauf produziert werden. Das Konzept heißt Community Supported Agriculture (CSA) oder Landwirtschaftgsgemeinschaft und findet in Europa zunehmend Verbreitung.

Community Supported Agriculture Deutschland
Dieser Artikel erschien unter dem Titel „Unsere kleine Farm“ in BIORAMA , Ausgabe Früjahr 2011

Der Gärtnerhof Entrup liegt im Nordwesten Deutschlands. Das Münsterland ist flach. Der Wechsel von Äckern und Wiesen, Hecken und Wäldern wird auch als Parklandschaft bezeichnet. Hier fährt man Rad und wählt traditionell CDU. Die mittelständische Wirtschaft der Region ist gesund, die Landwirtschaft ist geprägt von konventioneller Schweinemast. 20 Minuten sind es von hier in die Universitäts- und Behördenstadt Münster mit 270.000 Einwohnern. Seit 1987 wir auf dem Hof biodynamisch gewirtschaftet, 2007 gab es die ersten Überlegungen, auf Community Supported Agriculture umzustellen. „Ein Jahr lang haben wir geplant und diskutiert, 2008 haben wir dann schließlich gesagt: wir probieren das jetzt“, beschreibt Susanna Lindeke die Gründungsphase. Heute, drei Jahre später, finanzieren 100 Personen den Gärtnerhof Entrup zu 50 Prozent. Um auf die klassischen Absatzwege wie Marktstände und Hofladen verzichten zu können, braucht die CSA noch 100 weitere Teilnehmer.

Genug für alle: Gärtnerhof Entrup

Die Mitglieder beschließen einmal im Jahr den Finanzplan des Hofes und verpflichten sich, für jeden Esser im Haushalt einen bestimmten Betrag zu bezahlen. Für 120 bis 135 Euro je Monat und Person erhalten die Mitglieder quasi „all you can eat“. Jeder nimmt sich aus dem Angebot, so viel er braucht. „Und das funktioniert?“, fragt der Außenstehende ungläubig. Susanna Lindeke kontert: „Das funktioniert! Neue Mitglieder fürchten oft, zu viel mitzunehmen. Aber diese Bedenken lösen sich schnell auf.“ Während sich moderne landwirtschaftliche Betriebe spezialisieren müssen, um am Markt zu bestehen, ist auf dem Gärtnerhof Entrup das Gegenteil wichtig. „Wir bemühen uns in jeder Saison eine möglich große Vielfalt an Produkten zu erzeugen. Unser Hof will Abwechslung bieten.“ Geerntet und gebacken wird zweimal die Woche, damit genügend Ware an den Abholtagen bereit steht. Im Angebot findet sich regionales Gemüse vom Feld und aus drei Folienhäusern. Die hofeigenen Schafe, Hühnern, Schweine und Ziegen versorgen die CSA mit Fleisch und tierischen Produkten. Zudem wird eigenes Brot gebacken und die Schafsmilch verkäst.

Planungssicherheit

Die robusten Holzregale sind leer, in der ausgeschalteten Kühltheke warten einige Käseschilder auf ihren Einsatz. Aus dem Stall schallt das Geblöke dr Schafe herüber. Die Neonröhre und die unverputzten Wände machen deutlich, um Verkaufsförderung geht es hier nicht. Einmal in der Woche erwacht der Raum im Gärtnerhof aber zum Leben: Dann sind die Regale mit Gemüse aller Art gut gefüllt, brummt die Kühltheke. Dann ist hier die Drehscheibe für die Verteilung der Hofprodukte. Die Mitglieder können sich die Lebensmittel auf dem Hof direkt oder bei verschiedenen Depots im Stadtgebiet von Münster abholen. Die Depots werden von den Mitgliedern in Eigenregie organisiert und bestückt. In einem Stadtteil warten die Lebensmittel im Bauwagen auf die Mitglieder, in einer anderen Ecke von Münster wurde einfach ein Carport als Zwischenlager umfunktioniert. Und auch der Flur einer Studenten-WG dient einmal in der Woche als CSA-Depot. Das alles funktioniert? „Auch das funktioniert. Wer auf dem Wochenmarkt und im Supermarkt einkaufen geht, muss sich ja auch organisieren“, sagt Susanna Lindeke.

SoLaWi auch auf dem Gärtnerhof Entrup
Community Supported Agriculture

„Mein Anspruch ist es eine gute Arbeit zu machen“, erklärt die Landwirtin, auf die Vorteile der Landwirtschaftsgemeinschaft angesprochen. Der Boden müsse optimal versorgt werden, die Pflanzen gehegt und die Tiere gepflegt werden. „Gute Lebensmittel entstehen dann quasi als Nebenprodukt.“ Die Vermarktung tritt als Aufgabe des Landwirts in den Hintergrund. CSA gibt der Landwirtschaft Planungssicherheit: Der Absatz der Produkte lässt sich vorausplanen, Preis- und Marktveränderungen spielen keine Rolle. Die Produktion von Überschüssen, die nicht vermarktet werden können, kommt so gut wie nicht vor. „Diese Planbarkeit und der kurze Weg vom Produzenten zum Konsumenten vermeidet Lebensmittelabfall“, sagt der Biologe und CSA-Experte Dr. Thomas van Elsen von der Universität Kassel. Auch das Risiko einer Missernte tragen die Konsumenten mit. Dem Verbraucher sichert die Beteiligung an einer CSA die Versorgung mit frischen, regionalen und relativ günstigen Lebensmitteln. Sie kennen die Menschen, die ihre Lebensmittel produzieren, und haben Einblicke in Anbaumethoden und Produktionsverfahren. Transparenter geht es nur noch im eigenen Garten.

Im Supermarkt lässt sich der Verlauf der Jahreszeiten kaum noch nachzuvollziehen. „Die Mitglieder eine CSA müssen erst wieder lernen, wann welches Obst und Gemüseangebot verfügbar ist.“ Auch in der Saure-Gurken-Zeit sei ein attraktives Essen möglich. „Die Vielfalt meiner Ernährung ist sogar deutlich größer geworden“, erklärt Katja Beiersmann, Mitglied der CSA Entrup 119. „Vorbei sind die Zeiten in den als Gemüse ganzjährig hauptsächlich Tomaten und Paprika auf den Tisch kamen.“ Und wenn der Hof mal von einer besonders guten Rote-Beete-Ernte überrascht wird, dann werden augenzwinkernd Rote-Beete-Rezepte getauscht.

Das Konzept CSA: Vorgedacht in Europa, erprobt in Übersee.

Die Idee der CSA ist ein Re-Import aus den USA. Einer der amerikanischen Pioniere von CSA arbeitete in den früher 80er auf biologisch-dynamischen Höfen in der Schweiz, ein anderer auf dem Demeter-Betrieb Buschberghof bei Hamburg. Von diesen Aufenthalten inspiriert entstanden die ersten beiden CSA-Höfe in Amerika. Die Indian Line Farm in Massachusetts und die Temple-Wilton Community Farm in New Hampshire arbeiten noch heute. Community Supported Agriculture ist 25 Jahre nach den ersten Anfängen ein weiterverbreitetes Phänomen in den USA. Die Schätzungen über die Anzahl von CSA-Höfen reichen von 2.000 bis 12.000. „Die Grundversorgung mit biologischen Lebensmittel war in den USA viel schwieriger als in Europa“, erklärt Dr. Thomas van Elsen. „Das Fehlen einer Infrastruktur für den Ein- und Verkauf wurde durch Eigeninitiative ausgeglichen und führte zur starken Verbreitung des CSA-Konzepts.“ Das Spektrum der Modelle ist groß. Ungefähr die Hälfte der CSA in den USA betreibt Abo-Kisten-Systeme. Hier kann der Verbraucher wöchentlich ein- und aussteigen, durch Zukauf garantieren die Betriebe ein Angebot das einem Bioladen in nichts nach steht. Abo-Kisten sind auch in Deutschland und Österreich ein wichtiger Absatzweg für die Produkte der Biolandwirtschaft, in Europa würde man sie aber nicht als CSA bezeichnen.

1987 stand ein Generationswechsel auf dem Buschberghof bei Hamburg an. Auf der Suche nach einem neuen Betreibermodell entsann man sich der Ideen des ehemaligen Mitstreiters Trauger Groh, der mittlerweile erfolgreich die Temple-Wilton Community Farm in den USA betrieb. Anfangs kombinierte man noch die Wirtschaftsgemeinschaft und einen traditionellen Hofladen. Heute versorgt der Buschberghof als reine CSA rund 350 Menschen. 44 davon leben und arbeiten auf dem Hof, 300 sind zahlende Mitglieder. 101 Hektar hat der Betrieb insgesamt, 86 Hektar sind landwirtschaftliche Nutzfläche. So kann jeder CSA-Beteiligte auf dem Buschberghof nachvollziehbar behaupten: „Dieser Viertel-Hektar ist meine Lebensgrundlage.“ Der Etat, den die Mitglieder dafür aufbringen müssen, liegt momentan bei 330.000 Euro im Jahr.

Zum öffentlichkeitswirksamen Durchbruch in Europa verhalf der Idee der Landwirtschaftsgemeinschaft ein Bauer, der auch schon mal mit Federboa auf dem Acker steht oder als Biene verkleidet Pestizid-Lieder singt. Das filmische Porträt des Farmer John lief 2007 in den deutschsprachigen Kinos an. Bauer John hat als jugendlicher Hippie die vom Vater übernommene Landwirtschaft ruiniert, wagte aber ein paar Jahre später einen neuen Anlauf als CSA. Heute ist Angelic Organics eine der größten Gemeinschaftsfarmen der USA – und wahrscheinlich die einzige mit eigenem Merchandising-Shop. „In Deutschland gibt es heute etwa ein Dutzend Landwirtschaftsgemeinschaften“, schätzt Thomas van Elsen. Die erste CSA Österreichs befindet sich gerade in Gründung: 30 Kilometer vor den Toren Wiens in Gänserndorf geht gerade der Gärtnerhof Ochsenherz mit seinem Projekt „Gemeinsam Landwirtschaften“ in die Umsetzung. Für rund 250 Menschen reicht die Anbaufläche des Hofes. Die Waren können über fertig gepackte Ernteanteils-Kisten oder über zwei Markstände in Wien bezogen werden.

„CSA bietet eine neue Form, sich mit Lebensmittel zu versorgen“, sagt Thomas van Elsen. Doch das Sortiment ist eingeschränkt und streng an die Jahreszeiten gebunden. Und Landwirtschaftsgemeinschaften erfordern Mitarbeit und Engagement. Susanna Lindeke: „Landwirtschaftsgemeinschaften sind nicht die alleinige Lösung. Das ist nicht für jeden etwas.“ CSA sei ein Konzept, das sich an die unterschiedlichen Möglichkeiten anpassen muss, das sich von Hof zu Hof und mit der Zeit verändere. Community Supported Agriculture ist eine Idee, für die sich zunehmend mehr Menschen begeistern, ein Konzept, das im supermarktverwöhnten Europa gerade Fahrt aufnimmt. Eine große Leistung der CSA läge im unmittelbaren Kontakt zwischen Landwirtschaft und Konsumenten, unterstreicht Thomas van Elsen. Ähnlich sieht es Susanna Lindeke: Auf unserem Hof blicken Erzeuger und Verbraucher in die gleiche Richtung. Wir sind alle für unsere Lebensmittel verantwortlich.“

Der Gärtnerhof Entrup: Homepage und Blog
Thomas van Elsen bei der Arbeitsgemeinschaft Soziale Landwirtschaft

Dieser Artikel erschien in Biorama, Ausgabe Frühjahr 2011.