Eine erneuerte Esskultur fordert der Denkkreis Lebens-Mittel des Denkwerk Zukunft in einem Memorandum. Hier sind  die wichtigsten Thesen im Remix. Der Denkkreis geht davon aus, dass der materielle Wohlstand in den westlichen Ländern seinen Höhepunkt erreicht hat. Die Zeit der billigen Rohstoffe ist am Ende, Umwelt- und Klimaschutz werden teurer. In den sich verschärfenden Wettbewerb der Volkswirtschaften gehen die westlichen Gesellschaft mit hohen Staatschulden und einer alternden Bevölkerung.  Wie muss sich die Ernährung an diese Situation anpassen? Essen und Trinken können und sollen auch bei sinkendem materiellen Wohlstand die Lebensqualität der Menschen erhöhen.

„Denn ihre immateriellen Dimensionen gehören seit je her zu den größten Zufriedenheitsquellen der Menschen. Essen und Trinken können Genuss und Geselligkeit stiften, Zusammengehörigkeit, Freundschaft und Familienleben stärken, der Fürsorge und Erziehung dienen sowie Quellen kreativer Betätigung, kultureller Identität und nicht zuletzt körperlicher und geistiger Gesundheit sein.”  (Seite 7)

Damit das möglich ist, müssten laut Denkkreis folgende Bedingungen in der Einstellung zu und dem Umgang mit Lebensmitteln und der Ernährung erfüllt werden:

Bewusster und haushälterischer Umgang

Sowohl in den Haushalten als auch im Einzelhandel würden zu viele Lebensmittel entsorgt. Den Menschen würde die Planung des Lebensmitteleinkaufs immer schwieriger fallen, die Kompetenz zur Aufbewahrung und Zubereitung von Lebensmittel würden sinken. Der Einzelhandel müsste frische Lebensmittel immer und überall vorhalten und würde so einen hohen Verderb riskieren.

Qualität statt Quantität bei Lebensmitteln

Das Ernährungs- und Kaufverhalten sei heute auf niedrigen Preis und hohe Mengen ausgerichtet. Eine Orientierung, die sich bei sinkendem materiellem Wohlstand sogar noch verstärken könne. „Allerdings ist dies mit erheblichen negativen Folgewirkungen verbunden. So fördert die Nachfrage großer Mengen preiswerter Lebensmittel sowohl umweltschädliche landwirtschaftliche Produktionsmethoden als auch die Herstellung standardisierter und hoch verarbeiteter Lebensmittel. Letztere enthalten häufig synthetische und sonstige Zusatzstoffe sowie teilweise auch Rückstände von Antibiotika, Wachstumshormonen, Pestiziden und anderen Schadstoffen.” (Seite 13)

Sinnliches, genussvolles und gemeinsames Essen und Trinken

„Essen und Trinken heben Wohlbefinden und Lebensqualität nur dann, wenn sie die Sinne berühren und Emotionen wecken.” (Seite 14) Das Bedürfnis nach Genuss und sinnlichem Erleben würde heute aber zu oft durch Süßes, Fettiges oder große Portionen gestillt.

Gesundes Essen und Trinken

Gesundheit hat großen positiven Einfluss auf das Wohlbefinden. Essen und trinken bewirkt jedoch oft das Gegenteil. Heutige Ernährungsmuster sind eine der großen Krankheits- und Todesursachen und könnten sogar zu einer – im Vergleich zu Vorgängergeneration – gesunkenen Lebenswertartung der heute Vierzig- bis Fünfzigjährigen führen.

Ökologische, soziale und ethisch verantwortliche Konsummuster und Produktionsstrukturen

„Damit Essen und Trinken langfristig Wohlbefinden und Lebensqualität erhöhen, müssen die negativen Auswirkungen der Ess- und Ernährungsweisen auf Natur und Mitmenschen minimiert werden. Zwar kann dies kurzfristig höhere Kosten bedeuten, etwa für ökologisch oder sozial fair erzeugte bzw. gehandelte Produkte. Langfristig sichert dies aber die natürlichen Lebensgrundlagen der Menschen.” (Seite 17) Der Fleischkonsum und die Nachfrage nach billigen, saisonunabhängigen Lebensmitteln würde heute zur Abholzung der Regenwälder, Artensterben, Klimaerwärmung, Bodenerosion, Luft- und Gewässerverschmutzung sowie Schadstoffanreicherungen in Lebensmitteln führen. „Ethisch fragwürdig sind darüber hinaus die Auswirkungen der westlichen Konsum- und Produktionsstrukturen auf landwirtschaftliche Nutztiere. Damit Fleisch, Milch und Eier möglichst preisgünstig sind, werden Tiere häufig nicht artgerecht gehalten.“ (Seite 18)

Der Denkreis Lebensmittel geht davon aus, dass der überwiegende Teil (4/5) der deutschen Bevölkerung Ernährungsgewohnheiten hat, die Wohlbefinden und Lebensqualität langfristig eher verringern als erhöhen. Die Ernährung kann also ihr Potenzial zum Wohlbefinden und der Lebensqualität der Menschen schon im materiellen Wohlstand nur eingeschränkt ausschöpfen. Wie soll sie dann dazu beitragen, dass Wohlbefinden (materiellen) Wohlstand ersetzt? Der Denkreis hat sieben sechs Maßnahmenfelder ausgewählt, die er für besonders wirkungsvoll hält, um auf eine Nutzung des Potenzials der Ernährung hinzuarbeiten.

„Diese beziehen Verbraucher und Produzenten, aber auch Politik und Zivilgesellschaft ein, sind langfristig angelegt und tragen den unterschiedlichen Bedürfnissen der Menschen je nach Alter, Lebensphase, Bildungsstand, Einkommen oder kulturellem Hintergrund Rechnung.” (Seite 20)

Umfassendes Wissen und Handlungskompetenzen vermitteln

Nur wer weiß, was gute Ernährung bedeutet, welche Auswirkungen diese auf die eigene Person und die Umwelt hat, ist in der Lage sein Ernährungsverhalten zu verändern. „Deshalb kommt der Vermittlung von Wissen und Handlungskompetenzen, die im jeweiligen Alltag umgesetzt werden können und der sozio-kulturellen Vielfalt der Ernährungspraktiken Rechnung tragen, eine wichtige Rolle zu.“ (Seite 23-24) Besonderen Wert legt der Denkreis dabei auf die Vermittlung sinnlicher Erfahrungen und die Ernährungs- und Verbraucherbildung.

Gelungene Beispiele einer erneuerten Esskultur verbreiten

Im Verbreiten von Best Practise einer erneuerten Esskultur über die Medien und über Kampagnen mit Prominenten sieht der Denkkreis ein weiteres wichtiges Maßnahmenfeld.

Häufiger gemeinsam kochen und essen

„Die sinnlichen und Gemeinschaft stiftenden Potentiale von Kochen und Essen können umso besser genutzt werden, je umfangreicher Wissen und Kompetenzen auf diesen Gebieten sind. Erfahrungen lehren, dass Einkaufen, Kochen und Anrichten von Lebensmitteln Räume für Kreativität und Sinnlichkeit eröffnen können, die weit über das Versorgungskochen und die Befriedigung des Hungers hinausgehen.” (Seite 28) Das gemeinsame Kochen und Essen sei eine Möglichkeit dieses Wissen und die Kompetenzen zu vermitteln. Um das zu nutzen sollten bestehende Einrichtungen der Gemeinschaftsverpflegung aufgewertet und neue Angebote zum gemeinsamen Essen und Kochen geschaffen werden.

Umweltverträglicher, sozial und ethisch verantwortlicher produzieren und konsumieren

Sowohl auf der Konsumenten- als auch auf der Produzentenseiten müsste an einer nachhaltigen Gestaltung des Ernährungssystems gearbeitet werden. Besonders wird in dem Memorandum die Stärkung der Ökologischen Landwirtschaft, den Ausbau regionaler Wirtschaftskreisläufe, den Aufbau einer multifunktionalen Land- und Lebensmittelwirtschaft, die Internalisierung externer Kosten und die Einführung neuer Qualitätsstandards abgehoben.

Qualität von Außerhausversorgung und Fertigprodukten verbessern

„Damit sich möglichst viele Menschen im Alltag qualitätsvoller ernähren können, muss die Qualität der Verpflegung in Kindergärten, Kindertagesstätten, Schulen, Kranken- und Pflegeheimen, Betrieben oder von Caterern und Fast-Food-Unternehmen sowie von Fertigprodukten vielfach verbessert werden.” (Seite 349)

Transparenz erhöhen

Für einen bewussten Umgang der Verbraucher mit Lebensmitteln brauchen diese Informationen über deren Inhaltsstoffe, deren Verarbeitung und die Herkunft der Zutaten. Dazu bräuchte es ein umfassende Kennzeichnung der Lebensmittel und Ernährungsangebote. Das Marketing der Lebensmittelindustrie müsste verantwortungsvoller werden. “ Unklare und irreführende Bezeichnungen sind zu vermeiden. Sie verschleiern häufig Herkunft und tatsächliche Zusammensetzung der Lebensmittel.“ (Seite 38)

Denkkreis Lebens-Mittel (Hrsg., 2010): Für eine erneuerte Esskultur. Wie Essen und Trinken bei sinkendem materiellen Wohlstand zu mehr Wohlbefinden beitragen. Denkwerk Zukunft – Stiftung kulturelle Erneuerung. Bonn.