Dortmund war jahrhundertelang Bierstadt: Erfinder des Exportschlagers Dortmunder Helles im 19. Jahrhundert, Produktionsweltmeister im 20. Jahrhundert. Brauereien prägten das Stadtbild und waren wichtige Arbeitgeber. Das Bier bestimmte das Selbstverständnis und den Ruf von Dortmund mit. Im 21. Jahrhundert war damit Schluss. Eine Braustätte ist erhalten geblieben, in der unter dem Dach der Radeberger Gruppe alle Dortmunder Marken überwintern. Aus dem öffentlichen Bewusstsein scheint das Dortmunder Bier komplett verschwunden. „Das hat mich gewurmt”, kommentiert Dr. Thomas Raphael, Dortmunds neuester Brauereidirektor. „Früher hatte man den Eindruck ganz Dortmund besteht aus Bier.”

Fundstück: Marke Bergmann Brauerei

Mehr durch Zufall wurde Thomas Raphael zum Gründer Dortmunds jüngster Brauerei. Ein Flohmarktfund, ein Bierkrug der Dortmunder Bergmann Brauerei, regte Raphael zu Recherchen an. Seit 1874 braute die Familie Bergmann in Dortmund-Rahm ihr Bier – bis 1972 der Betrieb eingestellt und die Markenrechte von der Ritter-Brauerei aufgekauft wurden. 2005 wurden diese Markenrechte von der Radeberger Gruppe aufgegeben. Raphael schlug für ein paar hundert Euro zu und sicherte sich den Namen. Diese Renaissance der Bergmann Brauerei war aber nur ein kleiner, erster Schritt: Die Urkunde mit den gesicherten Namensrechten hing nun über Raphaels Schreibtisch. Ein weiterer Zufall ist wohl, dass dieser Schreibtisch im ehemaligen Dortmunder Brauereiviertel steht. Hier hatten sich zwischen Einfallstraße und Bahnlinie in den Hochzeiten gleich sechs Brauereien angesiedelt. Die Umzüge der Ritterbrauerei 1969 und der Actien-Brauerei 1984 sowie die Verlagerung der letzten und größten Brauerei, der Union-Brauerei, 1994 hinterließen ein Stück Dortmunder Innenstadt, das noch heute weitgehend Niemandsland ist.

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Bergmann Kiosk in Dortmund

Sein Geld verdient der Mikrobiologe seit 1994 als Dienstleister für die Lebensmittelindustrie, daneben war er aber bemüht, sich über ein zweites Standbein abzusichern. Zuletzt vertrat er eine US-amerikanische Firma, die versuchte ihre Methoden zur Neutralisierung von Schadstoffen im Grundwasser in Europa zu etablieren, sich dann jedoch zurückzog. Mit Blick auf die Namensrechte an der Wand und die Brauereibrachen vor dem Fenster, reifte bei Raphael der Entschluss, die Bergmann Brauerei zu diesem zweiten Standbein auszubauen. „Das liegt in Dortmund dann doch näher, als sich seine Altersversorgung über einen Weinberg zu sichern.” Anfang 2007 wurde in der Hagener Brauerei Vormann ein Sud Bergmann Export gebraut und an Freunde und Bekannte verteilt. Der nächste Schritt war die Versorgung einer Firmenfeier mit dem Bier. Eine Dortmunder Lokalzeitung wurde aufmerksam und berichtete im April 2007. Thomas Raphael wurde daraufhin überrollt von Zustimmung, Anfragen und Unterstützungsangeboten. „Das kannte ich bis jetzt aus meinem Beruf nicht.” Hauptsächlich mit Entsorgungsfragen beschäftigt, würde gute Arbeit zwar auch gewürdigt, aber Begeisterung löst sie nicht aus. Das ist beim Thema Bier in Dortmund anders. „Hier gibt es im Untergrund noch die alte Bierkultur. Das ist die Basis für unseren Erfolg”, stellt Raphael fest. Der Geschmack des neuen Bergmann Bier lehnt sich an das historische Vorbild an, ist aber keine Rekonstruktion. „Es gibt noch Leute, die wissen wie das Original Bergmann Bier geschmeckt hat”, hat Raphael bei seinen Recherchen herausgefunden. „Wir wollen aber auch ein modernes, an die Zeit angepasstes Bier brauen.” So macht die klassische Dortmunder Biersorte „Export” auch bei der Bergmann Brauerei nur noch einen Umsatzanteil von 5 % aus.

Untergang der Dortmunder Brauereien

Für den Untergang der großen Dortmunder Brauereien lassen sich kein Rohstoffschwund und keine Standortnachteile verantwortlich machen, die Probleme im kleiner werdenden Biermarkt waren weitgehend hausgemacht. Zu lange setzte man auf das traditionelle Export. Produziert wurde Masse, der Trend zu exklusiveren Bieren wurde verpasst. Und nicht zuletzt überforderte man sich bei den Übernahmen im Konzentrationsprozess.

Bergman Brauerei: Braustätte im Hafen
Braustätte im Hafen

Die Priorität auf Menge zu legen, kommt für Thomas Raphael nicht in Frage – nicht nur wegen fehlenden Kapitals und begrenzter Produktionskapazitäten: „Es wird immer weniger Bier getrunken, da müssen wir Spezialitäten brauen. Besser trinken nicht Mehr trinken.” Handwerkliche Qualität hat ihren Preis, die 0,33 l Flasche kostet für den Verbraucher etwa eine Euro. Doch Kompromisse zu Gunsten des Preis wird es nicht geben: „Uns war von Anfang an klar, entweder wir setzen diesen Preis durch oder es geht nicht.” Doch das Bergmann Bier erwies sich als Marktnische. Vertriebspartner meldeten sich von alleine, bei den Biertrinkern lief erfolgreiche Mund-zu-Mund-Propaganda. Die Stadt ermöglichte die Anmietung eines 50er-Jahre-Kiosk in der Innenstadt. Schwarze Zahlen schreibt die Bergmann Brauerei seit ihrer Gründung: Es gibt einen Festangestellten, die beiden Geschäftsführer zahlen sich kein Gehalt aus. Kapital für die Expansion hat sich die Bergmann Brauerei durch die Ausgabe von Genussscheinen gesichert und bezieht so die Dortmunder Bierfreunde in die Finanzierung mit ein.

Auf den Dortmunder Brauerei-Geländen wurde 2009 viel gebaut. Die ehemalige Thier-Brauerei machte Platz für ein ECE-Shoppingcenter mit 33.000 m² Verkaufsfläche. Auf dem Gelände der Union-Brauerei, dessen Kellerei-Turm mit dem markanten U sich in 16 Jahren Leerstand zu dem Dortmunder Wahrzeichen gemausert hat, arbeiten nach langen Diskussionen Bagger und Kräne an der Entwicklung eines Zentrums für Kultur und Kreativität. Im Dortmunder Hafen ist dagegen eine neue Braustätte entstanden. Die Bergmann Brauerei hat hier in einem alten Gießerei-Gebäude Brautechnik installiert. „Leider habe ich im Braueifer vergessen, eine Heizung einzubauen” gibt der frischgebackenen Brauereidirektor Thomas Raphael zu. Aber sobald die Temperaturen es zulassen, wird Bergmann Bier nach über 30 Jahren wieder in Dortmund gebraut – und darf damit die geschützte Herkunftsbezeichnung „Dortmunder Bier“ tragen. Die Bergmann Brauerei macht damit den nächsten Schritt in dem Versuch eine große Tradition neu zu denken.

Website der Dortmunder Bergmann Brauerei: http://www.harte-arbeit-ehrlicher-lohn.de/

Literaturtipp: Oliver Volmerich, Hopfen und Malz – Dortmunder Bier- und Brauereigeschichte. Gudensberg-Gleichen 2009.