Die Metropole Berlin setzt viele Trends für ganz Deutschland, den hier kommen kreative Köpfe und mediale Aufmerksamkeit zusammen. So waren es Berliner Projekte, die der urbanen Landwirtschaft in Deutschland zum Durchbruch verholfen haben. Doch wie sieht es mit kommunaler Ernährungspolitik aus? Auch hier lohnt sich aktuell der Blick in die Hauptstadt. Speiseräume hat mit zwei Aktivisten gesprochen.

„Dass die Stadt Handlungsebene für das Thema Ernährung ist, diese Erkenntnis setzt sich in Berlin aktuell durch“, sagt Udo Tremmel (Slow Food Berlin). „Das Interesse ist groß! Und dabei geht es explizit um die lokale Ebene.“ Beatrice Walthall (AG Stadt & Ernährung) sieht Berlin da durchaus unter Druck. Auf der einen Seite wächst das Interesse in der Zivilgesellschaft. Gerade in Berlin gäbe es unglaublich viele Initiativen und Organisationen, die sich auf unterschiedlichste Weise mit Ernährung beschäftigen:

„Bisher fehlte ihnen aber ein gemeinsamer Rahmen, in dem sie ihre Partikularinteressen zu einem gemeinsamen Thema bündeln können: die Gestaltung eines zukunftsfähigen Ernährungssystems in Berlin-Brandenburg.“

Auf der anderen Seite sieht Beatrice Walthall ein weltweit steigendes Interesse an den Zusammenhängen von Stadt und Ernährung. „Viele Städte – nationale und internationale – schauen auf das ‚kreative Berlin‘ und wollen wissen, wie die Hauptstadt Deutschlands mit der Ernährungspolitik innovativ und strategisch umgeht.“ Im Moment hinke Berlin aber anderen europäischen Städten hinterher.

„Aber wir sind da auf einen guten Weg“, sagt Udo Tremmel. Mit Köln ist Berlin einer der wenigen Städte in Deutschland in der im Moment diskutiert wird, wie man die Akteure im Ernährungssystem an einen Tisch bekommt. In Berlin sind es gleich zwei Gruppe, die hier auf der Suche nach Inhalten, Strukturen und Organisationsformen sind: der zivilgesellschaftliche „Ernährungsrat für Berlin“ und das von offizieller Seite einberufene „Forum Gutes Essen“.

Ernährungspolitik für Berlin - Food Policy Council
Spreeblitz im Spreepark, Berlin

Ernährungsrat für Berlin

Am 3. Mai 2015 gab es in Berlin ein erstes Treffen von Aktivisten unter dem Motto „Ein Ernährungsratschlag für Berlin?“ Rund 25 Menschen (von Landwirten, Vermarktern, Vertretern von Organisationen bis zu Wissenschaftlern) diskutierten im Gemeinschaftsgarten Himmelbeet über Vernetzungsstrategien. Am 1. Juni zum zweiten Treffen waren es bereits 50 Aktivisten, die sich auf Einladung u.a. von der AG Stadt & Ernährung und Inkota im Prinzessinnengarten trafen.

„Unser Ziel ist es, die Themen Ernährung und Landwirtschaft und die damit zusammenhängenden Fragen aus den Bereichen Ökologie, Wirtschaft, Soziales/Gerechtigkeit, Kultur und Nachhaltigkeit – in der Region Berlin-Brandenburg mehr öffentliche Aufmerksamkeit und politische Schlagkraft zu verleihen. Dabei wollen für ein zivilgesellschaftliches Sprachrohr darstellen“, sagt Beatrice Walthall.

„Der Rat ist ein breites Bündnis, das Ideen, Strategien, Vorschläge und Visionen entwickelt, um das Ernährungssystem in der Region Berlin-Brandenburg zukunftsfähig zu gestalten.“ Das Bündnis sei bewusst offen angelegt um eine große Vielfalt an Akteuren einzubinden und einen Raum für Diskussionen zum Ernährungssystem anzubieten. „Das gibt es in der Form einfach noch nicht – ist meiner Meinung nach aber zwingend notwendig“, so Beatrice Walthall.

Im Mittelpunkt der Arbeit des Ernährungsrats stehen aktuell die Diskussion über Selbstverständnis und Struktur. So wird im Moment unter anderem an einer Satzung gearbeitet – um sich eine feste Struktur für die zukünftige Arbeit zu geben. Vorbild ist dabei der Rat für die Künste Berlin der mit Sprecherkreis und verschiedenen Arbeitsgruppen seit über 20 Jahren ein Sprachrohr der Kulturszene ist. Auf einer Vollversammlung im Frühjahr 2016 soll inhaltliche und strukturelle Ausrichtung beschlossen und ein Sprecherrat gewählt werden.

Inhaltlich wird an einem Regionalmanifest zum Ernährungssystem in Berlin-Brandenburg gearbeitet: „Hier wollen wir die wichtigsten Handlungsfelder mit Einschätzungen von Experten aufzeigen“, sagt Udo Tremmel. „Neben diesem Problemaufriss wollen wir deutlich machen, welche Maßnahmen wir in Zukunft für notwendig halten.“

 

Ernährungsrat Berlin für Ernährungspolitik
Wildwasserbahn Crand Canyon

Forum Gutes Essen Berlin

Mit der Unterzeichnung des Urban Food Policy Pact in Mailand hat Berlin ein Zeichen gesetzt. Es hat sich zu einer nachhaltigen Ernährungspolitik und der Beteiligung der Akteure daran verpflichtet. Als eine erste Initiative hatte die Berliner Verbraucherschutzstaatssekretärin Sabine Toepfer-Kataw im September 2015 zur konstituierenden Sitzung des „Forum Gutes Essen“ eingeladen. Gefolgt sind der Einladung rund 30 Verbände und Organisationen. Zu den Gründungsteilnehmern zählen beispielsweise die Fördergemeinschaft Ökologische Landwirtschaft, die IHK Berlin, der Handelsverband Berlin Brandenburg, der Bauernverband Brandenburg oder die Cooks Connection. Mit Slow Food Berlin, Inkota und Nahhaft sind drei Organisationen vertreten, die auch am zivilgesellschaftlichen Ernährungsrat aktiv mitarbeiten. Angestrebt wird zudem eine Beteiligung der Fraktionen des Senats an den dreimonatlichen Treffen des Forums.

Orientiert hat sich Toepfer-Kataw am Vorbild der Food Policy Councils, die ausgehend von Nordamerika mittlerweile auch in Europa ein vieldiskutiertes Instrument sind. Ähnlich wie der zivilgesellschaftliche „Rat für Ernährung“ hat das „Forum Gutes Essen“ seine institutionelle Form noch nicht gefunden. „Die Staatssekretärin hat hier eine Gelegenheit geschaffen. Wir Akteure müssen sie jetzt ausfüllen“, so Udo Tremmel, der auch im „Forum Gues Essen“ vertreten ist. Oder wie Toepfer-Kataw es in einem Interview beschrieben hat: „Die weitere Entwicklung liegt in der Hand des Rates.“

In einem nächsten Schritt möchte das Forum in Zusammenarbeit mit der „Stiftung Zukunft Berlin“ öffentliche Diskussionsforen zu verschiedenen Themenschwerpunkten durchführen. Dabei soll zu einem der Begriff „Gutes Essen“ geklärt werden und Handlungsfelder für die zukünftige Arbeit geklärte werden. Mittelfristiges Ziel ist ein Positionspapier „Gutes Essen in Berlin“, das auch einen Aktionsplan enthalten soll.

Ernährungspolitik für Berlin: die Suche nach dem richtigen Ansatz

Beatrice Walthall sieht in dem Forum ein wichtiges Zeichen, dass die Stadt Interesse daran hat, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen und verschiedene Akteure aus dem Ernährungssystem an einen Tisch zu bringen. Sie sieht aber auch noch offene Fragen bei Organisationsform und Finanzierung. Auch Udo Tremmel hält das „Forum Gutes Essen“ für einen großen Schritt: „Wir können hier einen Politik-Bürger-Dialog etablieren, der nicht an konkrete Konflikte gebunden ist. Das wird noch nicht kurzfristig gelingen, aber die langfristige Perspektive sehe ich optimistisch.“

Berlin ist dabei an die europäische Diskussion aufzuschließen und könnte Maßstäbe für Deutschland setzen. Die Idee, dass sich Zivilgesellschaft, Wirtschaft, Politik und Verwaltung auf Stadtebene zum Thema Ernährung zusammensetzen, ist für alle Beteiligten neu und ungewohnt. Die beste Form oder Institution für eine solche Zusammenarbeit ist in Deutschland noch nicht gefunden. Hier helfen die Blaupausen aus anderen Ländern nicht weiter, das muss hier ausdiskutiert und -probiert werden. Berlin hat sich auf diesen Weg begeben. Doch wenn zwei Organisationen, mit einem ähnlichen Anspruch am selben Thema arbeite, könnte es die Gefahr geben, dass sie sich behindern oder gar blockieren. Das sehen die beiden Aktivisten jedoch optimistisch. Beatrice Walthall denkt, dass sich beide Räte gut ergänzen könnten und ist gespannt, wie es weiter geht. Auch Udo Tremmel meint nicht, dass ein „Forum Gutes Essen“ dem Ernährungsrat etwas wegnimmt:

„Diese Initiative der politischen Verwaltung wird uns helfen, das Thema Ernährung in die lokale Öffentlichkeit zu tragen.“

 

Ernährungspolitik für Berlin: das Forum Gutes Essen
Spreeblitz Berlin