„Du fährst nicht auf die Expo 2015?“, hatten mich in den letzten Jahren mehrere italienische Food-Aktivisten gefragt. Sie waren darüber erstaunt, dass ich die Mailänder Weltausstellung nicht in meine Reiseplanungen integriert hatte. Das Thema der Expo Milano ist „Den Planeten ernähren, Energie für das Leben“. Die Erwartungen waren hoch. Ich weiß nicht ob diese Aktivisten die Expo nach Änderungen im Konzept, Korruptionsskandalen und Protesten zum Auftakt immer noch als positive Chance sehen – ich bin jetzt aber da. Ich schlendere an einem der ersten Ausstellungstage über die Expo-Allee, wundere mich über die vielen unterschiedlichen Uniformen der italienischen Polizei und frage mich, wieso mehr als die Hälfte der Besucher aus italienischen Schulklassen zu bestehen scheint. Die Internationalität, die Größe, die vielen Menschen beeindrucken; die Idee, dass sich dies alles um das Thema Welternährung dreht, ist sogar ein bisschen ergreifend.

Die Expo 2015 wollte ursprünglich keine Leistungsschau sein sondern eine Diskussionsplattform zur Welternährung. Vorneweg – diesen Anspruch verfehlt die Expo total. Das sehen auch die Architekten so, die den ursprünglichen Masterplan der Ausstellung entworfen hatten, und haben der Ausstellung den Rücken gekehrt. Es ist eine Leistungsschau – bei der nicht immer sofort klar ist, wird man hier gerade von einem Konzern oder einem Staat umworben. Bierra Moretti, Qatar, McDonalds, Turkmenistan. Ich hatte mir schon vor meinem Besuch vorgenommen, die Expo als einen bunten Event zu sehen, der sich mehr oder weniger um das Thema Ernährung dreht.

Expo 2015
Der Expo-Cola-Shop

Tief verborgen hinter Animationstechnik

Nach einer Fahrt mit einer nagelneuen U-Bahn, einer noch sehr unroutinierten Sicherheitskontrolle und Wege über lange Brücken stand ich schließlich auf der großen Expo. Viele Besucher sind um kurz nach Zehn noch nicht da. Die ersten Schulklassen ziehen in Zweierreihen ihre Runden oder, wenn schon älter, rennen zum brasilianischen Pavillon. Mich führt mein erster Gang – ganz Weltenbürger – zum deutschen Pavillon „Fields of Ideas“. Der Inhalt des eher zurückhaltendenden Gebäudes ist eine Ausstellung zum Thema Ernährung. Randvoll mit vielen Detailinformationen, alles interaktiv, animiert mit modernster Projektionstechnik und mit einer peinlichen Abschluss-Show a la Ferienclub-Animation versehen: Be(e) active. Summ, Summ. Klatsch, Klatsch. Doch was sind die Fragen? Was sind die möglichen Antworten? Um das aus der Ausstellung herauszufiltern bräuchte ich einen halben Tag: Die Fülle an Informationen ist unüberschaubar und jede dieser Fakten muss der Technik auf eine anderen Art entlockt werden. Hier ist es Gestensteuerung, hier muss ein Regenschirm als Projektionsfläche benutzt (und irgendwie gedreht werden), hier ein Modellgemüse „gewogen“, dort ein Einkaufskorb verschoben werden. Fast alle Informationen bleiben mir und den anderen Besuchern verborgen. Das wird anders im letzten Ausstellungsteil „Garten der Ideen“: kaum Technik, kaum Animation, klare Botschaften. Hier geht es um Projekte aus dem Bereich der urbanen Landwirtschaft, Müllvermeidung und gemeinsamen Kochens. Ich lerne, dass Gemeinschaftsgärten, solidarische Landwirtschaft, Stadtimker, Lebensmittelretter wichtig für Deutschland zu sein scheinen. Und frage mich, wieso spielen diese Projekte eigentlich in der deutschen Stadt-, Ernährungs-, Landwirtschafts- und Bildungspolitik keine Rolle?

Vorbei laufend am Souvenirshop (Bärchen im Dirndl) und Familienrestaurant (Schweinshaxe) steuere ich wieder auf der Expo-Meile zu. An deren einem Ende hat Slow Food in drei langen, offenen Holzpavillons eine Heimat gefunden. Man muss sich fast an die ruhige Atmosphäre gewöhnen, ein deutlich entschleunigter Teil der Expo 2015. Schmecken, riechen, tasten, zuhören, lesen: Hier werden Inhalte und Ideen unaufgeregt und unanimiert vermittelt.  Ein Pavillon glänzt mit einer schöne Ausstellung rund um Biodiversität. Die Pavillons umschließen einen Nutzgarten. Das Slow Food Theater im zweiten Pavillon bietet Veranstaltungen (nicht nur für Schüler), im dritten Pavillon wird fleißig verkostet. Irgendwie fesselt mich dann ein guter Käse dann doch mehr als moderne Projektionstechnik.

Über die Expo-Meile zieht währenddessen die „Fruit Parade“: das Maskottchen der Expo „Foody“ auf einem Lastenfahrrad, seine aufgeregt hüpfenden Freunde aus dem Obst- und Gemüseregal, dazwischen eine paar wahllose Komikfiguren. Die gute Nachricht: Calimero hat die Neunziger überlebt. Die gute Frage: Wieso meint Walt Disney, von denen die Maskottchen entworfen wurden, das Gemüse schlecht gelaunt aussehen müsse?

Expo 2015: Was ist American Food 2.0?

Mein nächster Pavillon ist in vielem ein Gegenentwurf zum Deutschen: Die USA präsentiert sich mit einem wenig zurückhaltenden Gebäuden, großer abgewandelter US-Flagge, einer mit Gemüse dekorierten Fassade und allgegenwärtigen Obama-Ansprachen. In der eigentlichen Ausstellung wird der Besucher an Leinwänden vorbeigeführt – auf denen in kurzen animierten Filmchen (mit modernster Projektionstechnik) eine bunte amerikanische Ernährungslandschaft gezeichnet wird. Ähnlich wie im deutschen „Feld der Ideen“ wird regionalen Lebensmitteln, handwerklicher Lebensmittelproduktion und urbaner Landwirtschaft dabei viel Raum eingeräumt. Anders als im deutschen Pavillon gibt es keine Interaktion, nur Präsentation und eine klare Botschaft: Die USA stehen an der Spitze der Lebensmittelinnovation.

Und da langsam die Konzentration nachlässt, freue ich mich auf Pavillons, die sich auf eine prägnante Idee beschränken. Österreich hat ein Stück Wald – samt rot-weißer Wandermarkierung – nach Mailand geholt. Die Schweiz hat ihre Giveaways rationiert und versucht so das Thema der begrenzten Ressourcen zu verdeutlichen. Verschenkt werden die Schweizer Spezialitäten Instant-Kaffee, Apfelringe, Salz und Wasser aus sich leerenden Türmen heraus. Bahrain stellt sich mit einem minimalistischen Gartenpavillon dar. Brasilien lässt die Besucher über ein großes Netz durch ihren Pavillon laufen. Italien hat die deutsche Idee hinter Hauptstadtflughafen und Elbphilharmonie aufgegriffen: Präsentiert wird ein eleganter Mix aus Baustelle und Baufehlern mit unzusammenhängenden Austellungsfragmenten und einem Souvenirshop.

Weltausstellung Mailand: inhaltlich fundamental gescheitert

Der Hunger der Welt spielt auf dieser Expo 2015 zum Thema Welternährung so gut wie keine Rolle. Den eigenen Hunger kann man sehr gut im Pavillon von Eataly stillen. In zwanzig Restaurants aus unterschiedlichen italienischen Regionen werden einfache, gute Menüs angeboten. Hier bleibe ich dann auch gleich für Mittag- und Abendessen hängen. Man könnte natürlich auch in das Nutella-Concept-Restaurant gehen – das ist ja auch quasi regional hier. Beim abschließenden Weißwein aus Ligurien, auf dem sich wieder leerenden Ausstellungsgelände, bleibt die Zeit um zum inhaltlichen Anspruch der Expo zurück zu kehren.

Warum scheitert eine Weltausstellung so fundamental daran, Lösungen für das brennende Thema der Welternährung aufzuzeigen oder auch nur die Probleme richtig zu benennen? Die Expo ist eine Veranstaltung des Zeitalters der beginnenden Industrialisierung,  die Idee war technische Neuerungen zu präsentieren. In Erinnerung geblieben sind vergangene Ausstellungen mit Gebäuden wie dem Atomium und dem Eifelturm, präsentiert wurden dort Neuerungen wie das Telefon, der Reißverschluss und die Rolltreppe. Doch die Herausforderungen der Welternährung sind nicht in erster Linie technische oder industrielle Herausforderungen: den universellen Reißverschluss, der uns alle satt und gesund macht, wird es nicht geben. Das Problem ist ein gesellschafts- und wirtschaftspolitisches. Die Lösung liegt nach Meinung vieler Experten im Kleinen, im regional angepassten (Land-) Wirtschaften – und damit weit jenseits der Unternehmens- und Innovationstrategien von Agrar- und Lebensmittelkonzernen. Und so kann eine „Industrieausstellung“ an einem Thema wie der Welternährung nur scheitern. Zumindest die Pavillon-Bauer scheinen diesen Widerspruch zu ahnen und rücken urbane Landwirtschaft und handwerkliche Lebensmittelproduktion in den Mittelpunkt der Selbstdarstellung von Ländern wie der USA und Deutschland – im klaren Widerspruch zu Realität in den beiden Ländern.

Mein Highlight des Tages ist der niederländische Pavillon. Die Holländer haben einen bunten Jahrmarkt mit Zirkuszelten, Streefoodcars und DJ aufgebaut. Zwischendrin stehen als Deko noch ein paar Kühe, Fahrräder und irgendwo auch Inhalte. Als sich am Nachmittag die geschafften italienischen Schüler auf dem Rollrasen niederließen, war fast die Atmosphäre des Vondelparks greifbar. Damit ist der niederländische Stand ein gelungenes Abbild der gesamten Expo: Eine Ernährungskirmes mit guter Stimmung, beeindruckenden Bildern und wenig Substanz. Als ich auf Nachfragen versuche, einer holländischen Messehostess diese Begeisterung für ihren Pavillon zu schildern, wird das Gespräch allerdings schnell abgebrochen.

Expo 2015
Der niederländischen Expo-Pavillon