Erschreckend große Mengen an Lebensmittel werden – obwohl genießbar – nicht gegessen sondern landen auf der Mülldeponie. Ein Vorgang, an dem eigentlich niemand ein Interesse haben kann – nicht aus ethischen Gründen, nicht aus wirtschaftlichen Gründen und schon gar nicht aus Umweltsicht. Trotzdem schmeißen wir alle, vom Landwirt bis zum Verbraucher, Nahrungsmittel weg. Warum prouzieren wir Lebensmittelmüll?

Ursachen und Gründe für Lebensmittelmüll

Die Produktion und der Handel mit Lebensmittel sind aufwendig: Von Anbau, über Verarbeitung, Transport, Lagerung bis zum Verkauf geht ein durchschnittliches Lebensmittel durch 33 Hände. Diese komplizierte Kette führt zu Verlusten und der Produktion von Abfall in all ihren Stufen (vgl. Sobal et al. 2008: 68–69, Kantor et al. 1997:  4–6, Schneider: 3–10).

Durch falschen Umgang, zu lange Lagerung oder durch äußere Einflüsse kann es zu Verderb der Lebensmittel kommen. Schon vor der Ernte können (Un-) Wetter, Schädlinge und Unkraut die Nahrungsmittel unbrauchbar machen. Die Verarbeitung produziert immer auch Lebensmittelmüll: Beginnend bei der Erntemaschine, die nicht alle Früchte erfasst, bis zum Verbraucher, der beim Entfernen ungenießbarer Teile auch genießbare mit entfernt, entstehen während der Verarbeitung Verluste.
Fehler in der Planung des Absatzes bzw. Verbrauches sind eine weitere wichtige Ursache für Lebensmittelmüll. So kann es passieren, dass ein Landwirt seine Früchte auf dem Feld stehen lässt, weil z.B. gutes Wetter für Überproduktion und gesättigte Märkte gesorgt hat. Wenn der Handel oder die Gastronomie den Absatz eines Produktes überschätzt haben, führt diese Fehldisposition ebenfalls zu Abfall. Besonders die alltäglichen Fehlplanungen in den Haushalten machen einen erheblichen Teil des Lebensmittelmülls aus.

Lebensmittelmüll: The Big Food Wasters (CC by GDS Infographics)
The Big Food Wasters (CC by GDS Infographics)

Landwirtschaft, Verarbeitung, Handel und Verbraucher führen eine Auswahl nach Qualitätskriterien durch. Diese haben jedoch nur bedingt etwas mit genieß- oder ungenießbar zu tun, sondern es geht um eine Selektion nach Marktkriterien. Schon während der Ernte findet eine Auswahl statt: Früchte, die den Anforderungen staatlicher Vorschriften oder denen von Handel und Verarbeitern nicht entsprechen, bleiben auf dem Feld. Diese Selektion setzt sich bis zum Verbraucher fort, der sich bspw. aus dem Obst und Gemüseregal nur das Schönste herauspickt. Die EU-Norm von 1988 die krumme Gurken verbot (maximal 10 mm Krümmung auf 10 cm Länge), ist fast zum Sinnbild für europäische Regelungswut geworden. Die Zurücknahme der Norm 2009 hat allerdings nicht dazu geführt, dass ungerade Gurken nun eine Chance in der Vermarktung hätten. Besonders deutlich wird die Rolle von Vermarktungskriterien beim Fleisch. Für komplette Tiere gibt es in westlichen Ländern keinen Markt mehr: Innereien, Blut und Knochen gelten bei den Verbrauchern als ungenießbar und werden zu Schlachtabfällen. Die Auswahl geht aber noch weiter: So sind zum Beispiel 60% des in Europas verkauften Hühnerfleisches Brust oder Keule, der Rest wird vornehmlich in die Dritte Welt exportiert oder zu Tiermehl verarbeitet (vgl. Mari 2008: 74–75).
Die Präsentation von Fülle ist eine weitere wichtige Quelle für Abfall. Der Handel präsentiert und der Verbraucher erwartet selbst bei frischen Lebensmitteln bis zum Ladenschluss volle Regale. In der Außer-Haus-Verpflegung (Gastronomie, Kantinen, Catering) sind lange Speisekarten und große Portionen ebenfalls ein wichtiges Vermarktungsinstrument. Und im Haushalt soll zu den Mahlzeiten mit vollen Töpfen und großen Portionen die Fülle des Angebots präsentiert werden. Die Reste landen im Abfall.

Verursacher des Lebensmittelmülls

Ursprung des Lebensmittelmülls in einem US County 1998/99 (Sobal et al. 2008: 67)
Ursprung des Lebensmittelabfalls in einem US County 1998/99 (Sobal et al. 2008: 67)

Die Datenlage zu Lebensmittelabfällen ist dürftig. Die existierenden Studien sind zudem wegen unterschiedlicher Abgrenzungen nicht miteinander vergleichbar, können jedoch zusammengenommen ein in den Größenordnungen richtiges Bild zeichnen. Eine US amerikanische Studie schätzt, dass im Handel, der Außer-Haus-Verpflegung und den Haushalten 27% der essbaren Lebensmittel weggeworfen werden. Wobei der Handel hiernach 2% der Lebensmittel aussortiert, Gastronomie und Haushalte zusammen 26% (vgl. Kantor et al. 1997, S. 7). Eine andere amerikanische Studie untersuchte das Abfallaufkommen eines Bezirks nach dessen Herkunft: 20% des Lebensmittelabfalls entstehen in der Landwirtschaft, 1% in der Verarbeitung, 19% im Handel (inkl. Außer-Haus-Verpflegung) und 60% in den Haushalten (vgl. Sobal et al. 2008: 67).
Für Großbritannien hat die halbstaatliche Organisation WRAP (Ventour 2008, Quested und Johnson 2009) das Aufkommen von Lebensmittelabfällen in britischem Haushalten untersucht. Großbritanniens Haushalte produzieren insgesamt 8,3 Millionen Tonnen Lebensmittelmüll im Jahr, das sind je Haushalt und Woche 6 kg. 22% der eingekauften Lebensmittel werden weggeschmissen. 5,3 Millionen Tonnen, also etwa 2/3 dieses Abfalls stuft WRAP als vermeidbar ein, 1,5 Millionen Tonnen als möglicherweise vermeidbar. Selbst wenn die meisten weggeworfenen Lebensmittel nicht mehr genießbar sind, hätte ein Verderb durch bessere Planung, Lagerung oder Zubereitung vermieden werden können. Von den 5,3 Millionen Tonnen vermeidbarer Abfälle sind 2,2 Millionen Tonnen zubereitete, nicht verzehrte Essensreste und 2,9 Millionen Tonnen abgelaufene Lebensmittel.

Der Einkauf des vermeidbaren Abfalls kostet die britischen Haushalte im Jahr insgesamt 12 Milliarden Pfund, jeden Haushalt also 480 Pfund im Jahr. Durch die Erzeugung und den Handel der Lebensmittel, die später als vermeidbarer Abfall weggeschmissen werden, werden jährlich etwa 20 Millionen Tonnen Treibhausgase freigesetzt (vgl. Quested und Johnson 2009: 23–28).
Ein erheblicher Teil der produzierten Lebensmittel landet offensichtlich auf dem Müll. Dieser Müll belastet Umwelt und Klima also nicht nur während der Erzeugung und Verarbeitung, sondern erfordert erneuten Aufwand in der Entsorgung. Die Vermarktungsstrukturen des Ernährungssystems sind geprägt durch ein Überangebot an Lebensmitteln. Dies macht die starke Selektion nach Vermarktungskriterien und die Präsentation von Fülle erst möglich, rentabel und im wirtschaftlichen Wettbewerb notwendig. Erst dieses Überangebot ermöglicht Haushalten den verschwenderischen Umgang mit Lebensmitteln.

Wenn sich mit den obigen Zahlen zumindest Größenordnungen abschätzen lassen, entstehen 40% des gesamten Lebensmittelmülls in Haushalten durch vermeidbare falsche Lagerung, Zubereitung und Planung. Zumindest für diesen Teil des Problems, kann man sich nur an die eigene Nase fassen.

Das große Wegschmeißen: Lebensmittelmüll in Großbritannien (CC by GDS Infographics)
Das große Wegschmeißen: Lebensmittelabfälle in Großbritannien (CC by GDS Infographics)

 

Literatur
Kantor, Linda Scott; Kipton, Kathryn; Manchester, Alden; Oliveria, Victor (1997): Estimating and Addressing America’s Food Losses. In: Food Review U.S. Department of Agriculture, Economic (August).
Mari, Francisco J. (2008): „Genießbare Abfälle“. Neuartiges Dumping von Agrarprodukten durch die EU – das Beispiel Afrika. In: Manuel Schneider, Andrea Fink-Kessler und Friedhelm Stodiek (Hg.): Der kritische Agrarbericht 2008: Landwirtschaft als Energieerzeuger Hamm, Westfalen: ABL Bauernblatt (Landwirtschaft, 2008), S. 73–78.
Quested, Tom; Johnson, Hannah (2009): Household Food and Drink Waste in the UK. Final Report. Hg. v. WRAP. Banbury.
Schneider, Felicitas: Lebensmittel im Abfall. Mehr als eine technische Herausforderung. In: Online-Fachzeitschrift des Bundesministeriums für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft 2009.
Sobal, Jeffery; Griffin, Mary; Lyson, Thomas A. (2008): An analysis of a community food waste stream. In: Agriculture and Human Values 26 (1-2). Online verfügbar unter, zuletzt geprüft am 19.11.2010.
Ventour, Lorrayne (2008): The food we waste. Rev. ed. Banbury: WRAP (Food waste report).