Das Problembewusstsein rund ums Essen wächst, die Erkenntnis, dass sich unser Ernährungssystem ändern muss ebenfalls. Doch auf den ersten Blick wirken die Handlungsmöglichkeiten auf nationaler wie kommunaler Ebene begrenzt: Und wenn es nur durch die Angst vorm nächsten Shitstorm ist. Dass das mögliche Instrumentarium der Ernährungspolitik breit gefächert ist, wurde gerade in der Ernährungs-Umschau gezeigt.

Die Autoren Achim Spiller, Anke Zühlsdorf und Sina Nitzko haben in einem zweiteiligen Überblicksartikel die Instrumente der Ernährungspolitik dargestellt und deren Wirksamkeit diskutiert. Sie beschränken sich dabei auf die Instrumente, die auf den Konsumenten wirken sollen. Trotz dieser Beschränkung geben die Aufsätze auch für die kommunale Ernährungspolitik wertvolle Hinweise und helfen dabei den Überblick zu gewinnen.

Die Autoren gliedern die Instrumente nach ihrer Eingriffstiefe. Diese von Nichteingriff bis zu Verboten gestaffelte Darstellung bezeichnen sie als Leiter der Ernährungspolitik. Zur Legitimation aller dieser Instrumente braucht es nicht nur eine inhaltliche/wissenschaftliche Rechtfertigung sondern auch die Akzeptanz der Bürger. Allgemein scheint bei Menschen mit gesundem Essverhalten und/oder Problembewusstsein die Akzeptanz höher als bei Menschen mit problematischen Ernährungsverhalten ohne Problembewusstsein.  Und die Akzeptanz scheint grundsätzlich mit zunehmender Eingriffstiefe zu sinken.

Leiter der Ernährungspolitik

Verhaltensänderung durch komplette Verbote unerwünschter Produkte
z.B. Einschränkung von Alkoholgenuss im öffentlichen Raum, tageweiser Verbot von Fleisch in der Gemeinschaftsverpflegung

Verhaltensänderungen durch neue Standards durchsetzen
z.B.  Beschaffungsrichtlinien in der Gemeinschaftsverpflegung, Marktsatzung zugunsten regionaler Produkte, Höchstgehalt bestimmter Inhaltsstoffe

Steuern, Abgaben auf unerwünschte Produkte / Verhaltensweisen
z.B. Softdrink-Steuern, Schockbilder auf Verpackungen

Subventionen, Bonusprogramme
z.B. Schulobstprogramme

Verhaltensänderung durch veränderte Voreinstellungen (Nudging)
z.B. Platzierungen der Lebensmittel in der Gemeinschaftsverpflegung, Gestaltung von Verpackungen

Verhaltensänderungen über Labels erleichtern, Ernährungs-Coaching
z.B. Regionalsiegel, Biosiegel, Lebensmittelampel

Entscheidungen durch Verbraucherbildung verbessern
z.B. Ernährungsbildung, Schulgärten, Kampagnen für Bio und/oder Regional

keine Maßnahmen

So ist dann auch die Ernährungsbildung einer der klassischen Instrumente mit geringer Eingriffstiefe: Sie soll die Verbraucher in die Lage versetzen eine informierte Auswahl vorzunehmen. Der Aufsatz weist auf gute Wirksamkeit von Ernährungsbildung in Schulen hin – gerade in Kombination mit guter Schulverpflegung. Auch für Informationskampagnen zeigt der Aufsatz auf, dass zu deren Wirksamkeit zwar viele Hindernisse überwunden werden müssen, dass dies aber insbesondere mit einem Instrumenten-Mix gelingen kann. Label, Logos und Siegel gehören heue zu den wichtigsten Instrumenten einer nachhaltigkeitsorientierten Ernährungspolitik. Auch hier gibt es Hinweise auf dessen Wirksamkeit.

Die gelenkte Auswahl durch veränderte Voreinstellungen führt unter dem Begriff Nudging zu heftigen Diskussionen. Darf der Staat das Verhalten seiner Bürger „unbewusst“ lenken? Da es sich letztlich um die Anwendung von Marketinginstrumente handelt, bietet sich die Gegenfrage an: Wieso sollte demokratisch legitimierte Politik nicht tun dürfen, was Industrie und Handel immer und überall tun? Der Aufsatz berichtet über gute Erfahrungen in der Gemeinschaftsverpflegung, weist aber darauf hin, dass es bisher nur eine begrenzte Zahl von Wirkungsstudien gibt.

Negative finanzielle Anreize (sprich Steuern) kosten den Staat nichts, sind aber unbeliebt. Subventionen (positive finanzielle Anreize) können teuer werden, sind aber gut akzeptiert. Die Preiselastizität der Nachfrage von Lebensmittel ist in Industrieländern relativ niedrig: Steuern müssten also deutlich ausfallen um zu wirken. Hier weisen die Autoren des Aufsatzes auf die sozialpolitischen Fragestellungen von Preiserhöhungen für Grundnahrungsmittel hin. Ob Subventionen oder Steuern psychologisch besser wirken, scheint sich nicht so eindeutig bestimmen zu lassen.

Bei den entscheidungsbeschränkenden Maßnahmen scheint es klar zu sein, dass sie wirken: Verboten ist verboten. Das lässt sich im Einzelfall (z.B. Rauchverbot am Arbeitsplatz) auch empirisch nachweisen. Allerdings können „Trotzreaktionen“ die Wirkung auch zunichtemachen.

„Maßnahmen zur Reduktion des Fleischkonsums sind aus genderspezifischen Gründen besonders anfällig für Reaktanz, weil hier Männlichkeitsbilder angesprochen werden.“

Wichtig bei all diesen Instrumenten ist in der Auffassung der Autoren, dass sie in eine konsistente Ernährungsstrategie eingebunden sind. Die gesundheits- und umweltpolitischen Problemfelder in der Ernährung gehen auf ein komplexes Ursachenbündel zurück. Da geht es um individuelle, soziale und gesellschaftliche Ursachen. Diese vielfältigen Hintergründe brauchen eine breiten Instrumentenmix um erfolgreich angegangen zu werden.

Literatur
Spiller, Achim; Zühlsdorf, Anke; Nitzko, Sina (2017): Instrumente der Ernährungspolitik, Teil 1. Ein Forschungsüberblick. In: Ernährungs Umschau 17 (3), M156-M153.
Spiller, Achim; Zühlsdorf, Anke; Nitzko, Sina (2017): Instrumente der Ernährungspolitik, Teil 2. Ein Forschungsüberblick. In: Ernährungs Umschau 17 (4), M204-M210.