Noch weniger urban als die Landwirtschaft zur Produktion von Pflanzen scheint aus heutiger Sicht die Tierhaltung. Doch nicht nur, dass in der historischen Stadt Pferde lange ein wesentlicher Träger des städtischen Verkehrs waren, frische Lebensmittel – wie Milch und Fleisch – mussten in unmittelbarer Nähe des Verbrauchers erzeugt werden. Konservierung und Transport waren schwierig bis unmöglich. Und der Verbraucher saß damals wie heute in der Stadt.

Atkins hat das System zur Produktion von Milch im London des 19. Jahrhunderts beschrieben. Milch war ein Produkt, das ungekühlt und bei heißem Wetter schon nach wenigen Straßenkilometern verdorben war. Bevor in den 1860er Jahren Milch per Eisenbahn nach London gelangte, wurde sie im Wesentlichen innerhalb der Stadt und im engeren Umland der Stadt produziert. 1860 gab es rund 20.000 Kühe in London.

Londoner Parks als Weideland

Die städtischen Kuhställe waren durch die hohen Bodenpreise einem wesentlich höheren Produktivitätsdruck ausgesetzt als die ländlichen. Viehwirtschaft, Ziegelfabrikation und Gärtnereien waren potenziell profitable Nutzungen für noch nicht bebautes Land und standen in direkter Konkurrenz um den Boden. Die höheren Produktivitätsanforderungen führten zum Einsatz von besonders leistungsfähigen Tieren, die in für diese Zeit vergleichsweise großen Betrieben gehalten wurden. Seit den 1820er Jahren war das Grünland innerhalb London so weit verschwunden, dass die Weidezeit der Kühe auf ein paar Wochen verkürzt werden musste. Die Londoner Parks wurden zwar weiterhin als Weidegrund genutzt, doch mussten die Tiere schließlich sogar ganzjährig im Stall gehalten werden.

Das Ende der Tierhaltung in London hatte hatte wirtschaftliche Gründe, war aber auch das Ergebnis städtischer Politik. Die Landwirte waren sehr an der Gesundheit ihrer Kühe interessiert, zeigten aber wenig Interesse an Sauberkeit zu Gunsten der benachbarten Bevölkerung. In den 1850er und 1860er Jahren gab es die ersten Schriften, die sich mit Hygiene und Gesundheitsbedingungen in der Stadt beschäftigten. Besonders in den ärmeren Stadtteilen wurden diese neuen Vorschriften aber nur zögerlich umgesetzt: Die Tierhaltung war hier ein wesentlicher Beschäftigungsfaktor, dessen Einschränkung auf Widerstand stieß.
Seit den 1840er Jahren wurde London per Bahn mit Milch beliefert, seit den 60er Jahren kam dann der Großteil der Milch über die Schiene. Einen Markt gab es sowohl für Land- als auch für Stadtmilch. Der Stadtmilch wurde eine bessere Qualität zugesprochen, so dass sie einen höheren Preis erzielte. Ende des 19. Jahrhunderts sank die Rentabilität der städtischen Kuhhaltung durch sinkende Margen im Verkauf der Milch und einen Wettbewerb um niedrige Produktionskosten. Der Markt für städtisches Rindfleisch brach zusammen, der Ertrag aus dem Dungverkauf an die Landwirte ging zurück und der Milchpreis sank.

Literatur
Der Text basiert auf den Veröffentlichungen von Peter Atkins, Durham Universität. Genaue Quellenangaben und ausführlichere Darstellung in: Philipp Stierand (2008): Stadt und Lebensmittel. Die Bedeutung des städtischen Ernährungssystems für die Stadtentwicklung.