„Feeding the City: The Challenge of Urban Food Planning” heißt das Schwerpunktheft der International Planning Studies, das Ende 2009 in der Papierversion und Ende März online erschienen ist. Der Band enthält u. a. Beiträge von Kevin Morgan und Kameshwari Pothukuchi, sowie Berichte aus London und Toronto. Die von Han Wiskerke vertretenen Thesen (Beitrag „On Places Lost and Places Regained”) möchte ich hier kurz wiedergeben. Wiskerke sieht das aktuelle Ernährungssystem durch drei fortschreitende Prozesse gekennzeichnet:

  1. Isolierung: Die Industrialisierung der Lebensmittelversorgung hat zu einer (räumlichen und organisatorischen) Distanz zwischen Erzeugern, Verarbeitern und Verbrauchern bis hin zur Anonymität geführt.
  2. Entwurzelung: Der räumliche Bezug von Erzeugung und Handel hat weitgehend seinen Einfluss auf die Produktqualität verloren. Der regionale Charakter von Lebensmitteln ist dadurch überwiegend verloren gegangen.
  3. Entflechtung: Die Spezialisierung von Versorgungsketten hat zur Entflechtung der Verarbeiter und Händler von unterschiedlichen Produkten geführt.

These three processes – disconnecting, disembedding and disentwining – are all driven by the principle of cost-effective production and the economies of scale it can generate. It is typical of the development of a number of industries, such as the steel, textile and car industries, as well as developments in the public sector, such as education and health care. The agriculture and food sector, too, has been subjected to the principle of cost-effective production and its accompanying economies of scale, generally conceptualized as the agri-industrial modernization project. (Seite 371)

Güter, Dienstleistungen und Räume werden austauschbar. Als die Nachteile dieses modernen Ernährungssystems beschreibt der Aufsatz den Druck auf die Einkommen der bäuerlichen Landwirtschaft, die Umweltverschmutzung, die abnehmende Biodiversität und den Verlust geschmacklicher Qualität/Vielfalt. Auf der Verbraucherseite sieht er vor allem wachsende Unsicherheit und größer werdendes Misstrauen sowie massive Gesundheitsprobleme.

Wiskerke: Alternative Ernährungsgeographie

Wie sollen diese Probleme überwunden und die Ernährungsversorgung in Zukunft gesichert werden? Der Aufsatz stellt hier ein agrar-industrielles einem alternativen Paradigma gegenüber. Ersteres, die hypermoderne Ernährungsgeographie,  sieht die Zukunft in weiterer Konzentration, einen höheren technischen Aufwand in der Produktion zur Lösung der Umweltprobleme und hochverarbeitete Produkte zur Lösung der Gesundheitsprobleme. Das zweite Paradigma, die alternative Ernährungsgeographie,  sieht die Zukunft in räumlicher und kultureller Einbettung, regionalen Ernährungssystemen und Schulung der Konsumenten. Der Aufsatz betont, dass beide Paradigmen sich in Versatzstücken nebeneinander entwickeln. So sieht er folgende Anzeichen für ein entstehendes alternatives Ernährungssystem (und lässt damit meiner Meinung nach viele weitere Anzeichen/Entwicklungen außen vor):

  • Die Konzepte zur Regionalvermarktung von Lebensmitteln.
  • Die engere Verflechtung zwischen dem öffentlichen Sektor und dem regionalen Ernährungssystem (Gemeinschaftsverpflegung).
  • Die  städtischen Ernährungsstrategien, die Städte zu aktiven Gestaltern von Ernährungspolitik machen.

All the examples reveal to a larger or lesser extent that food is much more than a commodity or a carrier of calories, nutrients, vitamins, proteins, etc. Food is an integrative concept linking different public domains and policy objectives. And the examples also show that an integrated and territorial approach to food has the (potential) capacity to contribute to sustainable regional development: increased Net Value Added in the regional economy, more employment in the urban and/or the regional food economy, preservation of the city’s rural hinterland, reduction of food miles and CO2 emission, enhanced trust/faith in the food system, increased bridging social capital, etc. (Seite 382)

Als Gegenbewegung zu den beschriebenen Prozessen  der Isolierung, Entwurzelung und Entflechtung lassen sich in den alternativen Ernährungsgeographien folgende Prozesse zusammenfassen:

  1. Verknüpfung der verschiedenen Akteure im Ernährungssystem
  2. Verwurzelung von Produkten und Dienstleistungen in der Region
  3. Verflechtung der wirtschaftlichen und nicht-wirtschaftlichen Aktivitäten in der Region.

Der Aufsatz endet mit einem Plädoyer für die Ernährung als ein Thema der Stadt- und Regionalplanung. Der Aufsatz greift zwei Themen auf, die für mich die Spannung des Themas Ernährung in der Planung ausmachen. Da sind zum einen die vielfältigen Verknüpfungen von Lebensmitteln und Ernährung zum Raum. Delokalisierung, Lokalisierung – hier laufen viele Entwicklungen parallel und scheinbar widersprüchlich ab. Und zum anderen die Sicht auf die Ernährung als ein „integratives Konzept, dass verschiedene öffentliche Bereiche und Ziele verknüpft“.

Wiskerke, Johannes (2009): On Places Lost and Places Regained: Reflections on the Alternative Food Geography and Sustainable Regional Development. In: International Planning Studies, 14: 4, 369-387.